Prof. Dr. Ulrich Magnus (Universität Hamburg, Deutschland)
Wesentliche Fragen des UN-Kaufrechts (VII. Die Gerichtspraxis zum CISG: Seite B).


2. Fragen des Vertragsschlusses

a) Formfreiheit

Das CISG konstituiert in Art. 11 den Grundsatz der Formfreiheit, der insbesondere auch für den Vertragsschluß sowie den Nachweis des Vertragsinhalts gilt. Gleichwohl wurde in den USA in CISG-Fällen gelegentlich die sog. parol evidence-rule angewendet, die bei schriftlich geschlossenen Verträgen einen anderen als schriftlichen Nachweis für den Vertragsinhalt ausschließt (75). Begründet wurde das mit dem prozessualen Charakter der rule, die deshalb nicht in den Regelungsbereich des CISG falle. Unter ausdrücklicher Zurückweisung dieser Auffassung hat jetzt der US Court of Appeals für den 11th Circuit ein untergerichtliches Urteil aufgehoben, das die parol evidence rule angewendet hatte (76). Im Interesse einer einheitlichen Auslegung des CISG ist diese Entscheidung nur zu begrüßen.

b) Vertragsschluß über Vermittler

Ein Vertragsschlußproblem von erheblicher praktischer Bedeutung hatte der österreichische Oberste Gerichtshof in folgendem Fall zu lösen: Ein österreichischer Schuhhändler hatte bei einem deutschen Unternehmen, das dabei von einem Handelsvertreter vertreten wurde, Schuhe bestellt; das deutsche Unternehmen leitete die Bestellung seinerseits an einen italienischen Schuhhersteller weiter, der nach einigen brieflichen und mündlichen Kontakten mit dem österreichischen Händler diesem die Schuhe direkt lieferte und von ihm Zahlung verlangte. Der österreichische Händler zahlte jedoch auf Bitte des Handelsvertreters an diesen, der die Zahlung wegen umstrittener Provisionen einbehielt, die ihm der italienische Schuhhersteller nach seiner Behauptung schuldete (77). Der OGH entschied, daß der Erfolg der Zahlungsklage davon abhänge, ob ein Vertrag zwischen dem italienischen Hersteller und dem österreichischen Käufer zustande gekommen sei. Dies hänge wiederum davon ab, ob der Handelsvertreter erkennbar selbständig oder unselbständig (als Beschäftigter des deutschen Unternehmens) tätig geworden sei. Denn bei erkennbarer Selbstständigkeit sei dem Käufer als Anbietendem klar gewesen, daß der Handelsvertreter nicht selbst Vertragspartei sein wolle und könne, sondern das Angebot an einen - beliebigen - Dritten weitergeben werde. Bei unselbständigem Handeln hätte der österreichische Käufer dagegen davon ausgehen müssen, daß der Empfänger seiner Bestellung (das deutsche Unternehmen) auch sein Vertragspartner und der italienische Hersteller nur ein Erfüllungshelfer war. Man wird dem Ansatz des OGH folgen können. Zwar scheint es auf den ersten Blick um die Frage der Offenkundigkeit der Stellvertretung zu gehen, die nach dem Vollmachtsstatut zu beantworten wäre. Vorgelagert ist aber doch die Frage, an wen der Anbietende sein Angebot eigentlich gerichtet hat. Die Angebotserklärung ist deshalb zunächst - nach dem Maßstab des Art. 8 CISG - auszulegen (78). Danach gilt grundsätzlich die Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers. Der OGH stellt hier freilich maßgebend darauf ab, was der Erklärende erkennen konnte und mit welcher Verwendung seines Angebots er rechnen mußte. Das war aber im vorliegenden Fall aus zwei Gründen gerechtfertigt: Zum einen hatte der Vermittler hier die Abgabe des Angebots durch vorherige Werbung angeregt; der von ihm gesetzte Rechtsschein - Eigengeschäfte oder Vermittlung - muß deshalb als Umstand i.S.d. Art. 8 Abs. 3 CISG beachtet werden. Zum anderen ist es Sache des Anbietenden zu bestimmen, wer Empfänger einer Erklärung sein soll. Trotz der Orientierung am Empfängerhorizont braucht der Anbietende grundsätzlich nicht damit zu rechnen, daß der benannte Empfänger die Erklärung an Dritte weitergibt. Dritte, die die Erklärung nicht vom Erklärenden selbst, sondern über andere erhalten haben, können andererseits nicht darauf vertrauen, daß sie als Empfänger gemeint waren. Bestellungen bei einem Vermittler richten sich damit nur an diesen, es sei denn, er habe erkennbar klargestellt, daß er sie an Dritte weiterleiten werde.

c) Annahme unter Änderungen

Eine weitere Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs hatte sich zu der Frage zu äußern, ob ein Vertrag zustande gekommen ist, wenn die Annahmeerklärung die angebotene Menge von "± 5% nach Wahl des Schiffes" auf "± 10% nach Wahl des Schiffes" abändert (79). Der OGH hielt die Abweichung dann für unwesentlich im Sinn der Art. 19 Abs. 3 CISG und den Vertrag für geschlossen, wenn die Abweichung in der Annahmeerklärung dem Anbietenden günstig war (80). Das hing von der an das Untergericht zurückverwiesenen Frage ab, welche der Parteien nach dem vorgesehenen Vertrag das Schiff wählen durfte und damit die Liefermenge beeinflussen konnte.

Dagegen stellt es nach einer billigenswerten Entscheidung der französischen Cour de Cassation eine wesentliche Abweichung vom Angebot dar, wenn die Annahmeerklärung eine abweichende Gerichtsstandsklausel enthält (81).

d) Relevantes Schweigen

Grundsätzlich hat Schweigen unter dem CISG weder als Annahme (Art. 18 Abs. 1 S. 2 CISG) noch sonst rechtsgeschäftliche Bedeutung. Hat aber der Käufer dem Verkäufer bestimmte Vorgaben für zu fertigende Ware gemacht und eine Zeichnung des Verkäufers über die zu fertigende Ware vorbehaltlos akzeptiert, dann ist der Vertrag entsprechend der Zeichnung geändert und das Schweigen des Käufers als Zustimmung hier zu der Änderung zu werten (82).



   Anmerkungen:


(75) Vgl. Beijing Metals & Universals Import/Export Corporation v. American Business Center, Inc., 993 Fed 2d 1178 (1993) = CLOUT Nr. 24.

(76) MCC-Marble Ceramic Center, Inc. v. Ceramica Nuova D'Agostino, S.p.A., 1998 U.S.App. Lexis 14782 = CLOUT Nr. 222.

(77) OGH vom 18.6.1997, JBl 1998, 255 ff. mit Anmerkung Martin Karollus.

(78) Ebenso Karollus, aaO.

(79) OGH vom 20.3.1997, ZfRV 1997, 204 ff. = CLOUT Nr. 189.

(80) OGH aaO., 207.

(81) Cour de Cassation vom 16.7.1998, Dalloz Affaires 1998, 1694 mit Anmerkung s. B.T.

(82) Cour de Cassation vom 27.1.1998, Dalloz Affaires 1998, 337 mit Anmerkung S.P. = D. 1998.som.312 mit Anmerkung Claude Witz.