Prof. Dr. Kurt Siehr (Universität Zürich, Schweiz)
Der internationale Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts (Prozeß in einem Nichtvertragsstaat).


IV. Prozeß in einem Nichtvertragsstaat

In einem Nichtvertragsstaat - wie gegenwärtig in der Bundesrepublik - kann das UN-Kaufrecht mangels Ratifikation unmittelbar nicht zur Anwendung kommen. In Frage kommt also nur eine mittelbare Anwendung durch objektive Verweisung auf das Recht eines Vertragsstaates oder durch Rechtswahl des UN-Kaufrechts.

1. Objektive Anknüpfung

Bei einer objektiven Verweisung auf das Sachrecht eines Vertragsstaates des UN-Kaufrechts ergeben sich gegenüber der Situation, wie sie sich bei einem Prozeß in einem Vorbehaltsstaat darstellt (oben III), keine erheblichen Unterschiede. Auch hier ist also bei einer Verweisung auf einen Vertragsstaat, der in diesen Fällen immer ein ausländischer Staat ist, das UN-Kaufrecht ohne Rücksicht darauf anzuwenden, ob dieser Staat den Vorbehalt nach Art. 95 ausgesprochen (83) hat oder nicht. (84). Auf diesen zuletzt genannten Fall nimmt sogar Art. 8 V des Haager IPR-Kaufrechtsübereinkommens von 1985 bzw. 1986 Rücksicht (85). Zwei Gesichtspunkte sind jedoch hervorzuheben:

a) Vorbehalt nach Art. 95 UN-WKG

Bei einem Nichtvertragsstaat fällt das Argument fort, durch einen Vorbehalt gemäß Art.95 UN-WKG habe man die mittelbare Anwendung des UN-Kaufrechts ausgeschlossen (oben III 3). Ein Nichtvertragsstaat hat nämlich eine solche Erklärung nicht abgegeben.

b) Fehlende Beziehung zum UN-Kaufrecht

Bei einem Prozeß in einem Nichtvertragsstaat wiegt vielleicht das Argument stärker, durch Anwendung der UN-Kaufrechts werde ein den Parteien unbekanntes und nicht nahestehendes Recht angewandt. Jedoch auch hier gilt, was allgemein von diesem Argument im Rahmen des Art. 95 UN-WKG noch zu sagen sein wird (unten V 2c).

2. Subjektive Anknüpfung

a) Wahl des UN-Kaufrechts

Haben die Parteien die Anwendung des UN-Kaufrechts gewählt, so ergeben sich bei einem Prozeß in einem Nichtvertragsstaat besondere Probleme, und zwar deshalb, weil in aller Regel nur das "Recht eines Staates" im Sinne einer staatlichen Rechtsordnung gewählt werden kann. (86)

Auch außerhalb des Rechts der Staatsverträge kommt es vor, daß die Parteien nicht etwa das Recht eines Staates wählen, sondern lediglich eine bestimmte nationale Kodifikation als maßgebend kennzeichnen oder sogar schlicht von deren Anwendbarkeit ausgehen und in ihren vertraglichen Abreden auf einzelne Bestimmungen dieser Kodifikation Bezug nehmen. Hierin liegt nicht etwa bloß eine materiellrechtliche Verweisung auf das Recht des Staates, in dem die angesprochene Kodifikation gilt; denn auch aus den Bestimmungen eines Vertrages und aus den konkreten Umständen des Falles kann sich echte Rechtswahl ergeben. (87).

Im Gegensatz zur Bezugnahme auf eine nationale Kodifikation läßt sich bei einer Verweisung auf das UN-Kaufrecht nicht ohne weiteres ermitteln, als Bestandteil welcher staatlichen Rechtsordnung diese Konvention gewählt worden ist. Das ist auch nicht notwendig; denn das UN-Kaufrecht ist eine in sich geschlossene Kaufrechtskonvention, die schon heute als Bestandteil einer präzisen internationalen lex mercatoria gewählt werden kann (88) und die sogar in Nichtvertragsstaaten tatsächlich schon gewählt wird. (89). Bei irgendwelchen Lücken und bei den im UN-Kaufrecht nicht geregelten Fragen müßte das jeweilige Forum gemäß Art.7 UN-WKG vorgehen oder - wie auch sonst - nach seinem eigenen IPR die maßgebende Rechtsordnung für diese offenen Probleme ermitteln. Verfehlt wäre es, in einer - schon heute üblichen - Verweisung auf das UN-Kaufrecht eine materiellrechtliche Verweisung zu sehen, also die Geltung des UN-Kaufrechts von der Zustimmung durch das objektiv bestimmte Vertragsstatut abhängig zu machen. Um eine solche Mißdeutung der Verweisung und um unangemessene Ergebnisse zu vermeiden, könnte in dieser Wahl des UN-Kaufrechts eine Verweisung auf das Recht irgendeines Staates gesehen werden, in dem das UN-Kaufrecht bereits geltendes Recht ist oder demnächst werden wird. Diesen doktrinären Umweg kann man sich ersparen, wenn man die kollisionsrechtliche Verweisung auf eine solche übernationale Kodifikation zuläßt, die bereits über die jetzigen Vertragsstaaten hinaus staatliche Anerkennung erfahren hat.

Diese Wahlmöglichkeit muß besonders für die Beurteilung in einem Nichtvertragsstaat der UN-Konvention erwähnt werden. In einem solchen Staat gilt nähmlich das Übereinkommen nicht. Gleichwohl ist eine solche Verweisung auf ein wahrhaft internationales Vertragsrecht möglich; denn eine Rechtswahl ist im Kaufrecht unbeschränkt möglich. Die Parteien können das UN-Kaufrecht sogar dann vereinbaren, wenn sie ihre Niederlassung nicht in verschiedenen Staaten haben, der Kauf aber wegen anderer Umstände Auslandsbezüge aufweist, wie z.B. in Art. 1 I litt. a)-c) EKG angeführt sind (Bewegung der Ware über Staatsgrenzen hinweg; Distanzgeschäfte). Das UN-Kaufrecht verbietet nähmlich den Parteien nicht, vom Erfordernis der Niederlassung in verschiedenen Staaten (Art.1 I Halbs. 1 UN-WKG) abzusehen.



   Anmerkungen:


83. Ebenso Lando (oben N.53) 82 und offenbar jetzt Volken, Das Wiener Übereinkommen über den internationalen Warenkauf, Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereich; in: Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationsrecht 81-96 (95).

84. Nur bei Verweisung auf einen Nichtvorbehaltsstaat nehmen dies an Dore (oben N.41) 537 f.; Hensen (oben N.2) 692; Herber (oben N.2) 340; Plantard 321, 323; Volken, Champ d'application, interpretation, lacunes, usages, in: Wiener Übereinkommen 21-33; ders., [Diskussionsbeitrag], ebd. 36; Winship 1.28 f., 1.53. Nicht eindeutig (weil nicht unterscheidend) den Drijver, Einige IPR-aspecten van de internationale (handels)koop, in: H.de Vries/R.S.Meijer/G.M.M. den Drijver, Internationale koop van roerende zaken naar materieel en i.p.r. (Zwolle 1982) 209-245 (228); Volken, The Vienna Convention - Scope, Interpretation, and Gap-Filling, in: International Sale of Goods, Dubrovnik Lectures, hrsg. Von P.Sarcevic/P.Volken (1986) 19-53 (29); U.Huber, Der UNICITRAL-Entwurf eines Übereinkommens über internationale Warenkaufverträge: RabelsZ 43 (1979) 413-526 (423 f.).

85. Siehe oben N.16 und hierzu Lando (oben N.53) 80.

86. Th. Reimann, Zur Lehre vom "rechtsordnungslosem" Vertrag (1970) 61 und 106 f. (Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, 88); zur mittlerweile sicher unübersehbaren Literatur zum Welthandelsrecht (new law merchant) vgl. Siehr, Sachrecht in IPR, transnationales Recht und lex mercatoria, in: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht - Referate eines Symposiums der Alexander von Humbold-Stiftung vom 26.-30.9. 1983 in Ludwigsburg, hrsg. Von W.Holl/U.Klinke (1985) 103-126 (112-125).

87. Art.3 I 2 EG-Schuldvertragsübereinkommen vom 19.6.1980 (oben N.16).

88. Commentary on the Draft Convention on the International Sale of Goods, UN-Dok. A/CN.9/116 (17.3.1976) Annex II, Bem. Zu Art.4 UNCITRAL-Entwurf, abgedr. in: UNCITRAL YB.7 (1976) 96-142 (99).

89. So die Praxis verschiedener schweizerischer Firmen. Dies scheint mir die einzig mögliche rationale Reaktion auf ein Vertragswerk zu sein, das heute (1.1.1988) bereits in mehr Staaten gilt als da EKG.