Prof. Dr. Kurt Siehr (Universität Zürich, Schweiz)
Der internationale Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts (Prozeß in einem Vorbehaltsstaat) [3. Inländisches Vertragsstatut / 4. Ausländisches Vertragsstatut].


3. Inländisches Vertragsstatut

Von der Nichtbeachtung der litt. a) und b) des Art. 1 I UN-WKG ist eine Ausnahme zu machen, die sich aus dem Sinn und Zweck des Vorbehalts gemäß Art. 95 UN-WKG ergibt.

Wendete ein Vorbehaltsstaat bei einer Verweisung seines IPR auf sein eigenes Sachrecht das UN-Kaufrecht an, so müßte er sich fragen, wieso er eigentlich den Vorbehalt eingelegt habe; denn auch ohne den Art. 1 I lit. b) gelangte hier das UN-Kaufrecht zur Anwendung. Durch die Hintertür käme herein, was man gerade durch die Vordertür hinausgeworfen habe. In der Tat soll ein Vorbehalt gemäß Art. 95 UN-WKG es einem Vorbehaltsstaat ersparen, vor eigenen Gerichten das eigene Kaufrecht dem UN-Kaufrecht opfern zu müssen. Dies zu vermeiden, haben vor allem diejenigen Vertragsstaaten ein Interesse, die ihr Kaufrecht in moderner Form vereinheitlicht (78) oder die für internationale Kaufverträge sogar Spezialgesetze erlassen haben (79). Deshalb ist auch allgemein anerkannt, daß Vorbehaltsstaaten bei einer Verweisung ihres IPR auf ihr eigenes Sachrecht nicht das UN-Kaufrecht anwenden(80).

4. Ausländisches Vertragsstatut

Verweist das IPR des Vorbehaltsstaates auf ausländisches Sachrecht und ist der Staat dieser Rechtsordnung Vcrtragsstaat des UN-Kaufrechts, so besteht kein Anlaß, von der gewonnenen Einsicht (oben bei III l b und 2 b) abzuweichen und das UN-Kautrecht nicht anzuwenden. Maßgebend ist allein die Tatsache, daß es sich um einen internationalen Warenkauf im Sinne des Art. 1 I Halbs. 1 UN-WKG handelt und daß das UN-Kaufrecht im Staat des maßgebenden Vertragsstatuts gilt. Unbeachtlich ist also nicht nur, ob die Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten ihre Niederlassung haben (Art. 1 I lit. a UN-WKG), sondern auch ob der ausländische Vertragsstaat den Art. 1 I lit. b) UN-WKG durch Vorbehalt ausgeschlossen hat (81).

Durch die Anwendung des UN-Kaufrechts wird weder eine - auch sonst nicht garantierte - Entscheidungsharmonie aufs Spiel gesetzt (oben II 2 c), noch werden die Parteien mit der Maßgeblichkeit einer Rechtsordnung überrascht, mit deren Geltung sie nicht zu rechnen brauchten. Auf dieses letzte Argument ist, weil es eigenartigerweise bei der Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs des UN-Kaufrechts vorgebracht wird, später noch etwas näher einzugehen (unten V 2 c).

Vorbehalte bei Staatsverträgen werden nicht notwendigerweise auf Gegenseitigkeit angebracht und beachtet (82). Wer also selbst von einer Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch gemacht hat, darf den Staatsvertrag in dieser Form im eigenen Interesse so anwenden und ist staatsvertraglich nicht verpflichtet, fremde Vorbehalte zu respektieren. Ein Vorbehaltsstaat kann bei einer Verweisung seines IPR auf das Sachrecht eines fremden Vertragsstaates des UN-Kaufrechts mit gutem Gewissen das Einheitsrecht anwenden und wird dies auche gern tun; denn dieses Recht den Gerichten eines Vertragsstaates leichter zugänglich als ausländisches autonomes Sachrecht.



   Anmerkungen:


(78) So insbesondere im Hinblick auf den amerikanischen Uniform Commercial Code Honnold Art. 1 UN-WKG Rz. 47 (S. 83); Winship 1.31, 1.53; siehe auch oben N. 40.

(79) Hierzu Réczei, Area of Operation 519-521 im Hinblick auf die ALB des RGW (oben N. 40) und die Speziaigesetze der CSSR und der DDR (oben N. 29).

(80) M. A. Bento Soares/R. M. Moura Hamas, Contratos internacionais (Coimbra 1986) 23 f.; Dore/De Franco (oben N. 41) 55 = 104.04; Dorc (oben N. 41) 535 und 537; Lando (oben N. 53) 83; Plantard 320, 322,

(81) Plantard 320 f., 322 f.; anders, nämlich für Anwendung des UN-Kaufrechts nur bei Verweisung auf einen Nichtvorbehaltsstaat, Vékas, [Diskussionsbeitragj in: Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationsrccht 108. (82) Müller (oben N. 52) 128-136.