Prof. Dr. Kurt Siehr (Universität Zürich, Schweiz)
Der internationale Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts (Prozeß in einem Vertragsstaat ohne Vorbehalt) [Teil A.].


II. Prozeß in einem Vertragstaat ohne Vorbehalt

Wird ein Prozeß über einen Warenkauf in einem Vertragsstaat des UN-Kaufrechts geführt und hat dieser Vertragsstaat keinen Vorbehalt gemäß Art. 95 UN-WKG eingelegt, so kann das UN-Kaufrecht sowohl unmittelbar über Art. 1 I lit. a) als auch mittelbar über Art. 1 lit. b) zur Anwendung kommen. Problemme wirft nur die mittelbare Anwendung auf, also die Sitauation, in der die Vertragsparteien ihre Niederlassungen nicht in verschiedenen Vertragsstaaten haben.

1. Mittelbare Anwendung durch Verweisung auf einen Nichtvorbechaltsstaat

a) Objektive Anknüpfung

Hat der Vertragsstaat, auf dessen Recht das IPR des Forumstaates verweist, ebenfalls keinen Vorbehalt gemäß Art. 95 ausgesprochen, so kommt - sofern die Parteien das UN-Kaufrecht nicht nach Art. 6 UN-WKG abbedungen haben - das UN-Kaufrecht als das Spezialrecht für internationale Kaufverträge zur Anwendung (41).

Dieses von niemandem in Frage gestellte Ergebnis setzt nicht etwa voraus, daß auch der Nichtvertragsstaat, in dem eine Partei ihren Sitz hat, im konkreten Fall das UN-Kaufrecht anwenden würde (42). Verweist das IPR dieses Staates auf das Recht eines Nichtvertragsstaates, so wäre nämlich dieses Recht und nicht das UN-Kaufrecht anzuwenden. Der Art. 1 I lit. b) UN-WKG ist eben keine einheitliche Kollisionsnorm, die internationale Rechtseinheit garantiert (43). Ebensowenig spricht diese Vorschrift eine "IPR-Verweisung" auf das Kollisionsrecht eines anderen Vertragsstaates aus und stellt dadurch einen Entscheidungseinklang sicher. Eine solche IPR-Verweisung kommt im Internationalen Kaufrecht selten vor (44). All dies wird jedoch zu leicht vergessen, wenn in Zusammenhang mit den Artt. 1 I lit. b) und 95 UN-WKG - zwar nicht in diesen Vorschriften, sondern an anderer Stelle (45) - von "Entscheidungseinklang" gesprochen wird. Artikel 1 I lit. b) UN-WKG kann freilich zu einem solchen Entscheidungseinklang führen. Das Herbeiführen dieser Harmonie ist jedoch nicht Sinn des Art. 1 I lit. b) UN-WKG. Diese Vorschrift soll vielmehr in erster Linie auch ohne einen solchen Einklang dem UN-Kaufrecht möglichst häufig Geltung verschaffen (46).

b) Subjektive Anknüpfung

(1) Wird schlicht das Recht eines bestimmten Staates gewählt, so ist es eine Auslegungsfrage, ob dann das nationale Kaufrecht oder das UN-Kaufrecht zur Anwendung kommt.

Sofern die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten besitzen und sie die Geltung des UN-Kaufrechts nach Art. 6 UN-WKG nicht ausgeschlossen haben, dürfte in aller Regel das UN-Kaufrecht als Spezialregelung für internationale Kaufverträge berufen sein (47). Da hier das Recht eines Nichtvorbehaltsstaates gewählt worden ist, bereitet die Problematik um Art. 95 UN-WKG keine Schwierigkeiten.

(2) Erklären die Parteien das UN-Kaufrecht für anwendbar, so ist nach der Bedeutung einer solchen Rechtswahl zu fragen.

Das Problem ergibt sich deshalb, weil in aller Regel nur das Recht eines Staates gewählt werden darf. In vorliegendem Zusammenhang eines Prozesses in einem Vertragsstaat spielt diese Problematik allerdings eine geringe Rolle; denn durch die Wahl des UN-Kaufrechts wird ein Normenkomplex gewählt, der im Inland gilt. Schwierigkeiten treten erst dann auf, wenn eine solche Rechtswahl in einem Nichtvertragsstaat des UN-Kaufrechts zu beurteilen ist (unten IV 2 a).

(3) Die Parteien können die Anwendung des UN-Kaufrechts ausschließen, wenn es ohne diesen Ausschluß zur Anwendung käme (Art. 6 Halbs. 1 UN-WKG).

Ein solcher Ausschluß hat für beide in Art. 1 I UN-WKG genannten Varianten Bedeutung. Stets muß dann das anwendbare Vertragsstatut mit Hilfe der selbständig und nicht über Art. 1 I lit. b) UN-WKG berufenen Verweisungsnormen des Forumstaates bestimmt werden. Verweist das IPR auf einen Vertragsstaat des UN-Kaufrechts, so bezieht sich der vertragliche Ausschluß dieses Übereinkommens auch auf dessen Geltung als Teil der Rechtsordnung des autonom bestimmten Vertragsstatutes. Ebenso haben deutsche Gerichte für die entsprechende Problematik beim Haager Einheitlichen Kaufrecht entschieden (48).



   Anmerkungen:


(41) Dore/De Franco, A Comparison of the Non-Substantive Provisions of the UNCITRAL Convention on the International Sale of Goods and the Uniform Commercial Code: Harv. Int. L.J. 23 (1982/83) 49-67 (55) = Guide to the International Sale of Goods Convention, hrsg. von W.A.Hancock (Chesterlandl987) 104.01-17 (104.03); Dore, Choice of Law Under the International Sale Convention, A U.S. Perspective: Am. J. Int. L. 77 (1983) 521-540 (530, 537, 538); Honnold Art. l UN-WKG Rz. 46; Plantard 320; Winship 1.53.

(42) Beispiel: Verkäufer in der Bundesrepublik (Nichtvertragsstaat) hat einem Käufer in Italien (Nichtvorbehaltsstaat) in Rom Ware verkauft. Im Prozeß in Hamburg wird über Art. 28 I 1, II l EGBGB deutsches Recht berufen. In Rom käme über Art. 1 I lit. b) UN-WKG und Art. 25 I 1 Halbs. 2 Disp. prel. C. c. die italienische lex loci contractus, also das UN-Kaufrecht zur Anwendung. Erst das EG-Schuldvertragsübereinkommen von 1980 (oben N. 16) garantiert einen Entscheidungseinklang.

(43) Siehe oben Text vor N. 18.

(44) Vgl. etwa das österreichische IPR für ein objektiv bestimmtes Kaufvertragsstatut: §§35 II, 36, 5 I und II, 11 I IPR-Gesetz vom 15.6. 1978, öst. BGB1. 1978/304, abgedr. in: RabelsZ43(1979)375.

(45) Siehe unten bei II 2 c, insbes. bei und in N. 57.

(46) So zutreffend der französische Delegierte in Wien Plantard in; Summary Records of the First Committee (oben N. 25) Nr. 19, abgedr. in Official Records 237; M. Wey, Der Vertragsschluß beim internationalen Warenkauf nach UNCITRAL- und schweizerischem Recht, Mit Einschluß der Anwendungs- und Allgemeinen Bestimmungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (Wien, 11. April 1980) (ungedr. Diss. Basel 1984) 123 (Rz. 60).

(47) Carbone 80; Plantard 322; vgl. auch die Diskussion in: Wiener Übereinkommen 36f; für Geltung des UN-WKG; v. Overbeck, Volken mit Einschränkung, Farnsworth und v. Hoffmann, dagegen: Neumayer.

(48) BGH 26.11. 1980, WM 1981, 169 = NJW 1981, 1156 = IPRax 1981, 180 = Schlechtriem/Magnus Art. 3 EKGNr. 3 (S. 131) = IPRspr. 1980 Nr. 27; 13.5.1981, WM 1981, 815 = NJW 1981, 2640 = Schlechtriem/Magnus Art. 3 EKG Nr. 4 (S. 134) = IPRspr. 1981 Nr. 17; 26.10 1983, RIW/AWD 1984, 151 = Schlechtriem/Magnus Art. 3 EKG Nr. 5 (S. 135) = IPRspr. 1983 Nr. 27. Die Wahl des Rechts eines Vertragsstaates ohne deutliche Bezugnahme auf das autonome Sachrecht enthält dagegen keinen Ausschluß des EKG; denn dieses ist auch "Recht der gewählten Rechtsordnung": OLG Hamm 3.10. 1979, RIW/AWD 1980, 662 = Schlechtriem/Magnus A". 3 EKG Nr. 19 (S. 142) = IPRspr. 1979 Nr. 168; Rb. Alkmaar 22.7. 1982, Ned. IPR 1983 Nr. 207 = Schlechtriem/Magnus Art. 3 EKG Nr. 30 (S. 150; LS).