Prof. Dr. Ulrich Magnus (Universität Hamburg, Deutschland)
Wesentliche Fragen des UN-Kaufrechts (VII. Die Gerichtspraxis zum CISG: Seite C).


3. Rechte und Pflichten der Parteien

a) "Leistungstreuepflicht"

In der Entscheidung "Benetton I" (83) - in diesem Fall schockierender Werbung hatten die Parteien das CISG zugunsten des unvereinheitlichten deutschen Rechts ausgeschlossen - hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß Lieferverträge, die in Durchführung einer Rahmenvereinbarung abgeschlossen werden, eine "Leistungstreuepflicht" als Zusatzverpflichtung enthielten; die italienische Verkäuferin dürfe keine Werbung betreiben, "von der sie wisse oder zumindest billigend in Kauf nehme, daß sie den Weiterkauf der Waren beeinträchtige oder verhindere" (84). Im Fall "Benetton II" (85), in dem das CISG galt, ging der BGH auf eine mögliche Leistungstreuepflicht als Zusatzpflicht der einzelnen Lieferverträge nicht ein, da er einen Schaden der Franchisenehmer verneinte. Eine solche Zusatzpflicht ließe sich aus dem CISG nur aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 7 Abs. 1) ableiten. Dem Gutglaubensgebot der Konvention wird freilich eine allgemeine Kooperationspflicht beider Parteien entnommen (86), die auch die Pflicht einschließen dürfte, das Vertragsziel gefährdende Werbemaßnahmen zu unterlassen.

b) Lieferort

Im Zweifel hat der Verkäufer an seinem Sitz zu liefern (Art. 31 lit. c CISG) oder - soweit eine Beförderung vorgesehen ist - die Ware dem ersten selbständigen Beförderer zu übergeben (Art. 31 lit. a CISG). Diese Grundsätze können die Parteien abändern (Art. 6 CISG). Die Vereinbarung "ab Werk" stellt indessen keine Änderung dar (87); ebensowenig die Vertragsklausel "Preise gelten frei (Sitz des Käufers)", da damit nur eine Kostentragungsregel vereinbart ist (88). Problematischer ist die Klausel "Lieferung frei Haus B. unverzollt". Auch hierin hat der BGH wegen des Zusammenhangs mit der vorgenannten Preisklausel eine Kostentragungsregel und keine Lieferortvereinbarung gesehen (89). Dagegen wurde "frei Haus (...)" als Vereinbarung eines Lieferortes betrachtet (90).

c) Sachmängel

Haben die Parteien nichts näher vereinbart, so sind Waren gemäß Art. 35 Abs. 2 lit. a CISG jedenfalls dann vertragswidrig, wenn sie nicht für die Zwecke taugen, "für die Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird". Hierzu gehört es nach einer insoweit billigenswerten Entscheidung des LG Regensburg (91) allerdings nicht, daß Kleiderstoff in Abmessungen geliefert wird, die eine bestimmte, besonders wirtschaftliche Art des Zuschneidens erlauben. Es muß genügen, daß aus dem gelieferten Stoff überhaupt Kleider - sei es auch mit gewissem Verschnitt - geschnitten werden können.

c) Untersuchung und Rüge

Wie in den vorangehenden Berichten spielten Fragen der korrekten Untersuchung und Rüge vertragswidriger Ware eine große Rolle.

aa) Untersuchung

Die nach Art. 38 CISG erforderliche, rasche Untersuchung hat in angemessener, handelsüblicher Weise zu erfolgen. Kann "ein branchenerfahrener Kaufmann etwa bereits am gröberen Griff" von Cashmere-Pullovern feststellen, daß die Ware mindere Qualität aufweist, dann bedarf es keiner wissenschaftlichen Untersuchungen mehr, um die genaue Zusammensetzung zu klären. Entsprechend läuft die Rügefrist ab der "Zugriffsmöglichkeit" (92).

Die Untersuchung nach Art. 38 Abs. 1 CISG kann der Käufer bei zu befördernder Ware aufschieben, bis die Ware am endgültigen Bestimmungsort eintrifft (Art. 38 Abs. 2). Gleiches gilt bei weiterzuversendender Ware, wenn der Käufer zur Untersuchung keine ausreichende Gelegenheit hatte und der Verkäufer von der Weiterversendung wußte (Art. 38 Abs. 3). Nach einer zutreffenden Schweizer Entscheidung stellt es aber keinen Fall des Art. 38 Abs. 3 CISG dar, wenn ein Käufer 14.000 steril zu haltende Blutleitungen kauft, die er dann vom eigenen Lager an Krankenhäuser weiterliefert. Hier muß er jedenfalls Stichprobenuntersuchungen der lagernden Ware vornehmen (93). Er kann weder damit gehört werden, daß durch die Untersuchung die Blutleitungen unsteril werden. Das beschränkt lediglich die Zahl der Stichproben. Noch kann er abwarten, bis später das belieferte Krankenhaus Mängel rügt.

Will der Käufer Ware in einem Silo einlagern, so muß er sie vor der Einfüllung untersuchen, wenn sich im Silo noch andere Ware befindet, sei diese auch vom gleichen Verkäufer bereits früher geliefert worden. Denn andernfalls kann nicht mehr festgestellt werden, ob die alte Ware, bei der eine Rüge verspätet wäre, oder ob die neue Ware vertragswidrig war. Der Käufer verliert dann insgesamt seine Ansprüche (94). Erst recht dürfte so zu entscheiden sein, wenn sich Ware eines anderen Verkäufers in dem Silo - oder sonstigen Sammelbehältnisbefand.

bb) Rügefrist

Für die Gesamtdauer der Rügefrist - Untersuchung nach Art. 38 CISG binnen kurzer Frist und anschließende Mängelanzeige nach Art. 39 CISG binnen angemessener Frist - hatte der BGH als groben Mittelwert eine Frist von einem Monat zugelassen, auch um sehr unterschiedliche nationale Vorstellungen in dieser Frage auszugleichen (95). Der Monatsfrist haben sich in Deutschland inzwischen auch mehrere Oberlandesgerichte, nämlich das OLG Stuttgart (96), das OLG München (97) und das OLG Köln (98) angeschlossen, während andere - etwa OLG Karlsruhe (99) und OLG Koblenz (100) - sich noch stärker an der Praxis zu §§ 377, 378 HGB orientieren und kürzere Fristen für angemessen halten.

Auch in anderen Vertragsstaaten reüssiert inzwischen die Monatsfrist. So hat sich das Obergericht Luzern ebenfalls für einen groben Mittelwert "von etwa wenigstens einem Monat" ausgesprochen, ausdrücklich auch, um auf diese Weise allzu großen Auslegungsdifferenzen auf Grund unterschiedlicher nationaler Traditionen vorzubeugen (101). Die Cour d'Appel Grenoble hat eine Mängelanzeige "dans le mois suivant la livraison" für fristgerecht (102), der Hof 's Hertogenbosch dagegen eine Mängelrüge für verfristet gehalten, die "im Juni" erhoben wurde, nachdem die Ware (Nerzfelle) am 26.4. geliefert worden waren (103. Drei (104) bzw vier Monate (105) sind für die Rügefrist jedenfalls nicht einzuräumen.

Daß der Käufer die Rügefrist versäumt habe, kann der Verkäufer aber nicht mehr ins Feld führen, wenn er sich auf eine verspätete Mängelanzeige eingelassen und damit auf seinen Einwand verspäteter Rüge stillschweigend verzichtet hat. Das ist etwa der Fall, wenn die Parteien 15 Monate lang über die Behebung eines Mangels und den Ausgleich durch ihn verursachter Schäden verhandeln und der Verkäufer selbst gewisse Zahlungen anbietet, ohne sich den Verspätungseinwand vorzubehalten (106).

cc) Form der Mängelanzeige

Obwohl die Mängelanzeige keinerlei Formzwang unterliegt, also auch mündlich erfolgen kann, scheitern Käufer mit ihren Mängelansprüchen recht häufig, weil sie den Mangel - genauer: die Vertragswidrigkeit der Ware - nicht substantiiert genug bezeichnen.

Die Rüge bei Walzdraht "Das Material hat Splitter" bzw. "das Material ist gespalten und hat Splitter" genügt nach Auffassung des BGH freilich noch dem Substantiierungsgebot (107). Dagegen stellt es nach einer weiteren Entscheidung des BGH keine hinreichend genaue Mängelanzeige dar, wenn der Käufer eines computergestützten Drucksystems, das aus mehreren Komponenten, nämlich Drucker, Monitor, Rechner und Software, besteht, dem Verkäufer als "offenen Punkt" "Dokumentation des Druckers" mitteilt, der Verkäufer eine Bedienungsanleitung für den Drucker übersendet, der Käufer aber mit seiner Mängelanzeige das Fehlen einer Dokumentation für die Gesamtlage gerügt haben will (108). Es ist m.E. zu billigen, daß die Unklarheit, ob sich die Mängelrüge hier nur auf den einzelnen Drucker oder auf das Drucksystem insgesamt beziehen sollte, zu Lasten dessen geht, der die Erklärung abgegeben hat und sie ohne weiteres klarer fassen konnte. Das folgt auch aus Art. 8 Abs. 2 CISG, der die Auslegung von Parteierklärungen an den objektiven Maßstab der Sicht einer Person in gleicher Lage bindet und in gewissem Umfang die contra-proferentem-Regel anerkennt (109). Nicht zu entscheiden war in dem genannten BGH-Fall, ob der Käufer eine mißverständliche Mängelanzeige noch nachbessern kann. Man wird das nur in den Grenzen und mit den Folgen des Art. 44 CISG zulassen können. Die mißverständliche Formulierung muß also entschuldbar sein. Sie darf nicht dazu dienen, nicht gerügte Mängel nach Fristablauf nachzuschieben.

Während im Fall des BGH kaum anders entschieden werden konnte, fällt die Zustimmung zu einer Entscheidung des OLG Koblenz schwerer. Hier hatte der Käufer eine Fehlmenge von 5 Rollen Acryldecken gerügt. Das war nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend substantiiert, da der Käufer Rollen mit unterschiedlichem Design bestellt hatte und der Verkäufer auf Grund dieser Rüge nicht wußte, welche Rollen nachzuliefern waren (110). Dieser Auffassung kann man m.E. nur folgen, wenn das Design der Acryldecken in der Sicht der Parteien oder im Verkehr eine wesentliche Rolle spielt. Ist es dagegen eher nebensächlich, dann genügte es für eine ordnungsgemäße Mängelanzeige, die Mengenabweichung mitzuteilen. Der Käufer zeigt mit einer solchen Rüge, daß ihm Erfüllung mit beliebigem Design recht ist. Es ginge aber zu weit, ihm in diesem Fall alle Rechte aus dem unstreitigen Qualitätsmangel abzuschneiden.

Überzogen sind die Ansprüche an die Genauigkeit der Rüge, wenn die Mitteilung, daß sich der gekaufte Stoff nach dem Waschen aufblähe und nicht mehr ordnungsgemäß falle, für zu unspezifisch gehalten wird (111). Denn damit hat der Käufer von Kleiderstoff hinreichend mitgeteilt, daß der Stoff durch Waschen leidet. Einer näheren Präzisierung bedarf es nicht, um fehlende Waschfähigkeit zu rügen.

Dagegen fehlt eine hinreichende Substantiierung, wenn ein Käufer mitteilt, die Verkäuferin sei "ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen", habe "falsche Teile" zudem "full of breakages" geliefert. Dasselbe ist anzunehmen, wenn der Käufer von Chrysanthemenbüschen zunächst deren "Miserabilität" und "uneinheitliche Sortierung" und später "schlechten Wuchs" bemängelt (113).

dd) Entschuldigung nach Art. 44 CISG

Art. 44 CISG mildert den völligen Rechtsverlust, den Rügefehler mit sich bringen, stark ab, sofern der Käufer für den Rügefehler eine "vernünftige Entschuldigung" hat. Auf diese Vorschrift greifen Käufer jetzt doch etwas häufiger, freilich bislang erfolglos zurück. So ist es kein Entschuldigungsgrund, daß der Käufer, der Reklamationen seiner Kunden erhalten hatte, die Warenmängel, die er bei einer Untersuchung schon bei Lieferung hätte feststellen können, erst noch selbst überprüfen wollte (114). Ebensowenig ist der Käufer entschuldigt, wenn er eine gebotene einfache Untersuchung - Klebetest bei Klebefolie - unterlassen hat (115).



   Anmerkungen:


(83) BGH vom 23.7.1997, NJW 1997, 3304 ff.

(84) BGH aaO.

(85) BGH NJW 1997, 3309 ff.

(86) Bernard Audit, La vente internationale de marchandises. Convention des Nations Unies du 11 avril 1980 (1990) 51; Bonell, in: Bianca/Bonell (Fn. 30) Art. 7 Bem. 2.3.2.2; Karollus (Fn. 30) 16 Fn. 88; Magnus, in: Staudinger (Fn. 30) Art. 7 Rz. 47.

(87) OLG Köln vom 8.1.1997 (27 U 58/96, unveröffentlicht).

(88) BGH vom 11.12.1996, ZIP 1997, 519.

(89) BGH aaO.

(90) OLG Köln aaO. (Fn. 87).

(91) LG Regensburg vom 24.9.1998, ForInt 1998, 109 f.

(92) OLG München vom 11.3.1998, ForInt 1998, 106f.

(93) Obergericht Luzern vom 7.1.1997, SJZ 1998, 515 (516 f.).

(94) OLG Köln vom 21.8.1997, OLGR Köln 1998, 2 ff.

(95) BGH vom 8.3.1995, BGHZ 129, 85 f.

(96) Vom 21.8.1995, RIW 1995, 943 ff.

(97) Vom 11.3.1998, ForInt 1998, 106 f.

(98) Vom 21.8.1997, OLGH Köln 1998, 2ff.

(99) Vom 25.6.1997 (1 U 280/96, unveröffentlicht), besprochen von Peter Schlechtriem EWiR Art. 39 CISG 2/97, 785 f. (Anzeigefrist bei nicht verderblicher Ware acht Tage).

(100) Vom 11.9.1998, ForInt 1998, 107 ff. (Anzeigefrist von ca. 14 Tagen).

(101) Vom 7.1.1997, SJZ 1998, 515 (518).

(102) Vom 13.7.1995, Journal du Droit International (J.D.I.) 1996, 948 (957) mit Anmerkung Claude Witz.

(103) Hof 's-Hertogenbosch vom 15.12.1997, NIPR 1998 ur. 201.

(104) Rechtbank van Koophandel Hasselt vom 3.12.1997, RkW 1997-98, 1294 (1296).

(105) Hoge Raad vom 20.2.1998, NedJur 1998, Nr. 480; Rechtbank Rotterdam vom 21.11.1996, NIPR 1997, Nr. 223.

(106) BGH vom 25.11.1998 (VIII ZR 259/97, unveröffentlicht).

(107) BGH vom 25.6.1997, NJW 1997, 3311 ff.

(108) BGH vom 4.12.1996, NJW-RR 1997, 690 = EWiR Art. 39 CISG 1/97, 653 mit Anmerkung Peter Schlechtriem/Martin Schmidt-Kessel. Vgl. auch John Honnold, Uniform Law for International Sales under the 1980 United Nations Convention (2. Aufl. 1991) Rz. 107.1; Magnus, in: Staudinger (Fn. 30) Art. 8 Rz. 17 f.

(110) OLG Koblenz vom 31.1.1997, Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz 1997, 37 ff.

(111) So LG Regensburg vom 24.9.1998, ForInt 1998, 109 f. (110).

(112) Kantonsgericht Nidwalden vom 12.11./3.12.1997, SZIER 1998, 81 f. (Zusammenfassung).

(113) OLG Saarbrücken vom 3.6.1998 (1 U 703/97-143-, unveröffentlicht).

(114) Hoge Raad vom 20.2.1998 NedJur 1998 Nr. 480.

(115) OLG Karlsruhe vom 25.6.1997, BB 1998, 393, Anmerkung Peter Schlechtriem EWiR Art. 39 CISG 2/97, 785 f.